Ein unerwarteter Tod
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, die Temperatur schwankte um den Gefrierpunkt, aber wenigstens war es trocken. Hedda stand frierend am Fahrradständer des Pflegeheims und fischte eine Packung Zigaretten aus ihrer Handtasche. Es befand sich nur noch ein einziger Glimmstängel darin.
Du wirst die letzte Zigarette meines Lebens!, schwor sie sich.
Sie wischte sich mit der Hand ihren langen, pechschwarz gefärbten Pony aus dem Gesicht, entzündete die Zigarette und steckte sie sich zwischen die Lippen. Während sie den Rauch inhalierte, betrachtete sie das Sturmfeuerzeug, mit dem sie den Glimmstängel entzündet hatte. Es war genau das Feuerzeug, das Willm in seinem Vorgarten vergraben hatte. Sie steckte es zurück in ihre Handtasche und holte ihr Handy hervor. Das Display zeigte ihr eine neue Nachricht von Enno an. Nachdem sie die Sprachnachricht abgehört hatte, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
Hedda und Enno hatten es in den vergangenen Monaten sehr langsam angehen lassen, hatten sich hauptsächlich geschrieben und nur ab und zu miteinander telefoniert. Doch heute Abend sollte es dann endlich zu ihrem dritten Date kommen. Hedda freute sich schon seit Tagen darauf.
Sie warf die Zigarette auf den Boden, trat sie mit dem Fuß aus und ging zum Haupteingang des Pflegeheims. Im Eingangsbereich hängte sie ihren Wintermantel an die Garderobe und ging lächelnd auf ihre Kolleginnen zu. »Guten Morgen!« Sie drückte jede Einzelne zur Begrüßung und setzte sich dann an ihren Schreibtisch, um die Aufgaben des heutigen Tages zu studieren.
Seit zwei Monaten absolvierte sie jetzt ihren freiwilligen Dienst in diesem Pflegeheim. Aufgrund ihrer Verletzung und der psychischen Folgen des Erlebten, hatte sie ihre Tätigkeit erst mit zweimonatiger Verspätung beginnen können.
Sie fasste sich an ihre linke Schulter. Der glatte Durchschuss war zwar zwischenzeitlich vollständig verheilt, dennoch juckte die Narbe manchmal unerträglich. Als ob sie verhindern wollte, dass Hedda vergaß, was geschehen war. Dabei war sie sich sicher, dass sie die schrecklichen Ereignisse niemals würde vergessen können.
»Wie geht es deinem Onkel?«, fragte Waltraut, eine der älteren Kolleginnen aus dem Pflegeteam.
»Körperlich ist er schon fast wieder der Alte, aber seine seelischen Wunden werden wohl noch sehr lange brauchen, bis sie endlich verheilt sind.«
Waltraut presste ihre Lippen fest aufeinander und suchte nach den passenden Worten. Hedda hatte ihr die ganze Geschichte von Sarinya und ihrem Onkel vor dem Wochenende zum ersten Mal erzählt. Davor war es für sie noch unmöglich gewesen, über ihre schrecklichen Erlebnisse zu sprechen.
»Ein Herz, das derart brutal gebrochen wurde, heilt wahrscheinlich nie wieder ganz«, sagte Waltraut betroffen. »Ich wünsche deinem Onkel, dass er trotzdem irgendwann wieder genug Vertrauen haben wird, um eine neue Frau in sein Herz lassen zu können.«
»Das hoffe ich auch«, seufzte Hedda traurig. Sie wollte unbedingt ihren lebenslustigen Onkel wiederhaben.
»Immerhin lebt er noch. Ich musste am Wochenende immer mal wieder an die Frau seines Kollegen denken. Wie hieß er noch?«
»Brad.«
»Brad, genau. Weißt du, wie es seiner Frau geht?«
Hedda schluckte. Sie hatte schon länger nicht an Brad und Sabrina gedacht. »Ich habe sie seit der Beerdigung nicht mehr gesehen. Sie besucht Willm ab und zu, aber ich traue mich nicht, ihn nach ihrem Befinden zu fragen.«
Hedda spürte etwas Weiches an ihren Beinen entlangstreifen. »Otto!« Hedda lächelte den grau getigerten Kater an und kraulte ihn hinter den Ohren. Er war vor einigen Monaten plötzlich im Pflegeheim aufgetaucht. Jeder Versuch, ihn zu verscheuchen oder seinen Besitzer ausfindig zu machen, blieb jedoch erfolglos. Otto kam einfach immer wieder. Und obwohl Otto eine wirklich beängstigende Fähigkeit besaß, hatte ihn auch ein Großteil der Heimbewohner so tief ins Herz geschlossen, dass er schließlich im Heim bleiben durfte.
Seit er auch nachts im Heim schlief, gab es in dieser Einrichtung keinen Todesfall mehr, den Otto nicht vorhergesagt hätte. Wenige Stunden vor Eintritt des Todes sprang er zu den Betroffenen aufs Bett und kuschelte sich auf deren Decke ein. Erst nach Eintritt des Todes stand er wieder auf und ging seines Weges. Wegen dieser Eigenart hatte Otto von den Pflegern den unschönen Spitznamen “Engel des Todes“ erhalten. Dennoch wussten sowohl die Angestellten als auch die Patienten Ottos Dienste zu schätzen.
»Und, hast du am Wochenende wieder jemandem auf die andere Seite geholfen?«, fragte Hedda den Kater liebevoll.
»Nein, hat er nicht«, antwortete Annegret. Sie hatte in der letzten Nacht Dienst gehabt und war gerade dabei, ihre Sachen zu packen, um nach Hause zu fahren. »Aber es ist trotzdem jemand gestorben!«
»Was?«, fragten die übrigen Kolleginnen fassungslos. Sie konnten nicht glauben, was Annegret da gerade gesagt hatte.
»Doch, es stimmt! Otto hat die ganze Nacht in seinem Körbchen gelegen und geschlafen.« Sie zeigte auf den geflochtenen Korb mit der blauen Kuscheldecke, den die Heimleitung extra für den Kater besorgt hatte.
»Und, wer ist gestorben?«, wollte Hedda wissen.
»Gerda Janssen.«
Erschrocken zuckte Hedda zusammen. »Nicht Gerda!«, sagte sie fassungslos und schlug sich die Hände vors Gesicht. Die alte Dame war ihr sehr ans Herz gewachsen. Außerdem hatte sich zwischen Hedda und Gerdas Enkeltochter eine wahre Freundschaft entwickelt. »Wie soll ich das nur Gesa beibringen?«
»Ich verstehe das auch nicht. Sie hat am Abend wirklich noch einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht.« Betroffen zuckte Annegret mit den Schultern.
Diese Antwort setzte sofort Heddas kriminalistische Fantasie in Gang. War die alte Dame wirklich eines natürlichen Todes gestorben?
***
Als Hedda ihre Freundin Gesa am späten Vormittag zur Tür hereinkommen sah, erkannte sie sofort, dass sie geweint haben musste. Ihre großen blauen Augen waren ungewohnt klein und gerötet. Zielsicher steuerte Gesa auf den Empfangstresen zu. Hedda sprang auf und eilte ihrer Freundin entgegen. Ohne ein Wort zu sagen, fielen sich die beiden in die Arme und ließen ihrer Trauer freien Lauf. Tränen rannen den jungen Frauen über das Gesicht, und auch den ein oder anderen lauten Schluchzer konnten sie nicht unterdrücken.
Sie waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht einmal bemerkten, wie Eske Oltmanns, die Leiterin des Pflegeheims, an sie herantrat. Behutsam legte sie den beiden ihre Hände auf die Schultern und wartete, bis sie sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt hatten. Dann erst wandte sie sich Gesa zu.
»Mein herzliches Beileid!«, sagte sie und presste verlegen ihre Lippen aufeinander. »Der Verlust ihrer Großmutter kam auch für uns sehr überraschend. Ich weiß, wie viel sie Ihnen bedeutet hat. Sie hat sich immer so auf Ihre regelmäßigen Besuche gefreut. Wenn wir irgendetwas für Sie tun können, lassen Sie es uns bitte wissen.«
Gesa schluckte ihren Schmerz hinunter. »Vielen Dank«, brachte sie mühsam und mit brüchiger Stimme hervor. Erneut löste sich eine Träne und kullerte an ihrer schmalen Nase entlang.
»Gehen Sie doch in mein Büro, dort können Sie sich ungestört unterhalten.« Die Leiterin warf Hedda einen auffordernden Blick zu. Sie schien besorgt zu sein, dass die ungehemmte Trauer der beiden einen negativen Einfluss auf die übrigen Heimbewohner haben könnte.
»Vielen Dank!« Hedda nickte ihrer Chefin zu, nahm ihre Freundin sanft in den Arm und ging mit ihr in das angebotene Zimmer. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, gab es für sie und Gesa kein Halten mehr. Sie lagen sich in den Armen und heulten hemmungslos.
Gesa wischte sich eine Strähne ihres schulterlangen dunkelblonden Haares hinter das rechte Ohr. »Ich verstehe das überhaupt nicht! Ich habe Oma doch gestern noch besucht! Sie hat einen guten Eindruck auf mich gemacht. Wie kann sie da nur wenige Stunden später einfach so sterben?« Ihre tränenerstickte Stimme hinterließ eine Gänsehaut auf Heddas Körper.
»Ich war auch total überrascht, als ich es heute Morgen erfahren habe«, antwortete Hedda und schüttelte ungläubig den Kopf. Dass sie kurzzeitig sogar einen Mord für möglich gehalten hatte, verschwieg sie ihrer Freundin lieber. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, welches Motiv jemanden dazu gebracht haben könnte, der liebenswerten alten Dame das Leben zu nehmen.
Die Freundinnen standen sich ein paar Sekunden schweigend gegenüber. Sie hatten sich gleich an Heddas erstem Arbeitstag im Pflegeheim kennengelernt und sich auf Anhieb bestens verstanden. An einen Moment wie diesen, in dem beide sprachlos beisammen waren, konnte Hedda sich jedenfalls nicht erinnern.
Ein kratzendes Geräusch veranlasste beide, ihren Kopf zur Seite zu drehen. Hedda ging auf die Bürotür zu und öffnete sie. Sofort steckte Otto seinen Kopf durch den schmalen Türspalt und zwängte sich in das Zimmer hinein. Zielstrebig ging der Kater auf Gesa zu, blieb direkt vor ihren Füßen stehen, legte seinen Kopf in den Nacken und maunzte sie an.
Gesa hockte sich hin und kraulte ihn hinter den Ohren. Otto legte seinen Kopf schief, kniff die Augen zusammen und begann genüsslich zu schnurren. Die Streicheleinheiten schienen ihm sehr zu gefallen.
»Selbst du hast Omas Tod nicht kommen sehen«, schluchzte Gesa.
Im selben Moment öffnete der Kater seine Augen wieder. Er machte zwei Schritte rückwärts und löste sich so aus Gesas Händen. Dann blieb er stehen, schaute ihr direkt in die Augen und begann lautstark zu miauen.
»Der hört ja gar nicht mehr auf«, stellte Hedda überrascht fest. »Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man glauben, dass er dir unbedingt etwas sagen will.«
Gesa sprang so plötzlich aus ihrer hockenden Position auf, dass Otto erschrocken zusammenzuckte und anschließend Schutz suchend unter den Schreibtisch flüchtete. »Sag so etwas nicht! Übernatürliche Ereignisse kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.«
»Das war doch nicht ernst gemeint«, versuchte Hedda ihre aufgebrachte Freundin zu beruhigen. »Glaubst du etwa an so etwas?«
Gesa schüttelte verneinend den Kopf. »Eigentlich nicht, aber der Kater ist ja nun wirklich kein normales Katzenvieh«, gab sie zu bedenken. »Schau doch!« Mit ihrem ausgestreckten Arm zeigte sie auf Otto, der jetzt wieder direkt vor ihr stand und sie aufmerksam beobachtete.
»Otto!« Hedda bückte sich nach dem Kater, fasste ihn unter dem Bauch und versuchte, ihn auf den Arm zu nehmen. Aber Otto fauchte nur, holte blitzschnell mit seiner Pfote aus und schlug seine scharfen Krallen in Heddas linken Handrücken. »Ahh!« Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog sie ihre Hände zurück und brachte sicherheitshalber etwas Abstand zwischen sich und den wildgewordenen Stubentiger. »Was ist denn mit dem los, so etwas hat er ja noch nie gemacht!« Bisher kannte sie Otto nur als sehr verschmusten Kater, der sich jederzeit widerstandslos auf den Arm nehmen ließ.
»Kannst du ihn bitte rauswerfen? Irgendwie ist er mir gerade total unheimlich.«
Hedda öffnete die Tür und scheuchte Otto hinaus auf den Flur.
»Danke!«, sagte Gesa und ließ sich erschöpft auf einen der Besucherstühle fallen.
»Ich habe keine Ahnung, was in ihn gefahren ist«, sagte Hedda, setzte sich auf den Stuhl direkt neben Gesa und legte ihr die Hände auf die Oberschenkel.
Auf der anderen Seite der Tür versuchte Otto, durch lautes Kratzen und Miauen auf sich aufmerksam zu machen. Erst als ihn Eske Oltmanns lautstark dazu aufforderte, das Weite zu suchen, stellte er seine Bemühungen ein.
»Weißt du schon, wie es jetzt weitergehen wird?«, versuchte Hedda ihre Freundin abzulenken.
»Meine Mutter und mein Onkel kommen zum Glück noch heute, um die Beerdigung zu organisieren. Sie werden aber wahrscheinlich erst mit der letzten Fähre aufs Festland kommen«, seufzte Gesa.
Ihr Vater, der leider schon vor einigen Jahren verstorben war, hatte sich als junger Mann in eine Insulanerin verliebt und war nach der Hochzeit mit ihr nach Langeoog gezogen. Kurz darauf wurde sie mit Gesa schwanger. Als Gesas Onkel Reyk – Gerdas zweiter Sohn - daraufhin zum ersten Mal zu Besuch auf Langeoog war, um seine kleine Nichte zu bewundern, verliebte er sich Hals über Kopf in Maike, die damalige beste Freundin ihrer Mutter. Und so kam es, dass Gerda Janssen innerhalb weniger Jahre gleich ihre beiden Söhne auf die ostfriesische Insel ziehen lassen musste.
Da es auf Langeoog kein Gymnasium gibt, hatte Gesa ihr Abitur auf dem Internatsgymnasium in Esens gemacht und anschließend ein Pädagogik-Studium in Oldenburg begonnen. Dies war auch der Grund, warum sie ihre geliebte Oma in den letzten Jahren viel öfter besuchen konnte als der Rest ihrer Familie. Sie besuchte sie jedes Wochenende und versuchte, wenn es ihr irgendwie möglich war, ihrer Großmutter auch innerhalb der Woche einen Besuch abzustatten.
»Ist dein Onkel eigentlich verheiratet?«, fragte Hedda.
»Nein, er ist leider auch schon verwitwet. Seine Frau ist vor zwei Jahren an einer Krebserkrankung gestorben.«
»Das tut mir leid!« Hedda musste an Gerda Janssen denken: Die Arme! Zuerst ziehen ihre einzigen Söhne vom Festland auf die Insel, dann stirbt der eine und der andere verliert auch noch seine Ehefrau. Das muss nicht leicht für sie gewesen sein.
»Die Beerdigung ist wahrscheinlich am Donnerstag. Übers Wochenende möchte ich gerne mit meiner Mutter auf die Insel fahren. Ich will jetzt einfach in ihrer Nähe sein. Verstehst du das?« Gesa schlug die Hände vors Gesicht und begann erneut zu weinen.
Hedda rutschte so dicht wie möglich an sie heran, legte den Arm um ihre Schultern und zog sie zu sich herüber. »Natürlich verstehe ich das.«
Gesa presste den Kopf an ihre Schulter. »Würdest du vielleicht mitkommen?«
»Ich?«
Gesa richtete sich auf, umfasste Heddas Hände und schaute sie flehend an. »Bitte, das wäre total wichtig für mich.«
»Ich würde dir wirklich gerne diesen Gefallen tun, aber ich mache mir Sorgen um meinen Onkel. Ich weiß nicht, ob ich Willm schon für mehrere Tage alleine lassen kann.«
Erschrocken schlug sich Gesa die Hand vor den Mund. »Sorry Süße, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Vergiss einfach, was ich gesagt habe, okay?«
Hedda nickte gedankenverloren, war sich aber immer noch unschlüssig, was sie tun sollte. Ob ich mit Willm darüber reden kann?
***
Durch den Tod von Gerda Janssen und dem Gespräch mit Gesa hatte Heddas Vorfreude auf das Date mit Enno einen erheblichen Dämpfer erlitten. Statt sich auf das gemeinsame Abendessen zu freuen, hatte sie den ganzen Tag über an den unerwarteten Tod der alten Dame und ihre traurige Freundin denken müssen.
Zum Glück waren die Vorbereitungen für den Abend nicht besonders aufwendig gewesen. Hedda und Enno hatten vereinbart, gemeinsam zu kochen. Es sollte Kartoffeln mit Grünkohl und Kohlpinkel geben. Deshalb musste Hedda sich bisher nur um den Einkauf der Zutaten kümmern.
Viel aufwendiger war es hingegen gewesen, Willm davon zu überzeugen, dass er die beiden nicht stören würde, wenn er zu Hause bliebe. Hedda hatte ihn sogar gebeten, mit ihnen zusammen zu Abend zu essen, aber er hatte dieses Angebot kompromisslos abgelehnt. „Ich werde doch die jungen Turteltauben nicht durch meine Anwesenheit stören“, hatte er gesagt und dabei müde gelächelt. Er gab sich sichtlich Mühe, wieder der alte, witzige und unbeschwerte Onkel zu werden, den Hedda so schmerzlich vermisste. Dennoch hatte sie kein gutes Gefühl dabei, dass er nur wegen ihnen aus dem Haus gehen wollte. In den letzten Monaten hatte er den Schutz seiner eigenen vier Wände schließlich nur dann verlassen, wenn es wirklich nicht anders ging.
Willm kam die Treppenstufen hinunter. Er hatte sich ein frisches weißes Hemd und eine blaue Jeans angezogen. Durch den Kummer der vergangenen Zeit hatte er sichtlich abgenommen. »Ich mache mich dann auf den Weg. Enno müsste ja jede Minute hier auftauchen.«
Beim Anblick ihres Onkels musste Hedda hörbar seufzen.
»Sehe ich so schlimm aus?«, versuchte Willm sich in einem scherzhaften Kommentar.
»Nein, ganz und gar nicht«, antwortete Hedda. »Willst du nicht doch hierbleiben und mit uns zu Abend essen?«
»Du gibst auch nicht auf, was?«
»Du kennst mich doch!« Hedda zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Ihr zwei habt euch einen ungestörten Abend verdient. In der letzten Zeit hast du so viel für mich getan, und dein Privatleben hintangestellt, nur um für mich da sein zu können. Damit muss jetzt endlich Schluss sein!« Willm klang so entschlossen, wie lange nicht mehr.
»Aber …«, wagte Hedda einen letzten Versuch, ihren Onkel zum Bleiben zu überreden.
»Außerdem habe ich die Karten fürs Kino schon gekauft«, fiel er ihr ins Wort.
»Du gehst ins Kino? Mit wem?«
Willm neigte den Kopf zur Seite und schaute seine Nichte nachdenklich an. »Wie kommst du darauf, dass ich jemanden mitnehme?«
»Du hast gesagt, du hättest die Karten schon gekauft. Nachdem du so viel abgenommen hast, sollte dir ein einziger Kinosessel doch eigentlich reichen.« Hedda lächelte ihn frech an. Dann zuckte sie - erschrocken über sich selbst - zusammen. Wie konnte sie ihrem Onkel gegenüber nur so taktlos sein? »Das war nicht böse gemeint«, schob sie schnell entschuldigend hinterher.
Für einen kurzen Moment wirkte Willm nachdenklich, doch dann umspielte plötzlich ein breites Grinsen seine Lippen. Ein Grinsen, so herzlich und frei, wie Hedda es seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr bei ihm gesehen hatte.
»Das hat mir echt gefehlt«, sagte er.
»Was meinst du?«, fragte Hedda. Das Verhalten ihres Onkels irritierte sie zunehmend.
»Na, diese Frotzelei zwischen uns. Seit dem Mordversuch behandeln mich doch alle wie ein rohes Ei. Ich merke doch genau, wie jeder zunächst einmal nachdenkt, bevor er mit mir spricht. Erst wenn sie sich sicher sind, dass ihre Worte bei mir keine negativen Erinnerungen oder Gefühle auslösen können, sprechen sie diese auch aus.« Willm machte eine kurze Gedankenpause. »Aber gerade dieses Verhalten erinnert mich doch daran, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich will einfach nur, dass alles wieder normal ist. Ich will, dass alle wieder normal zu mir sind!«
Mit offenstehendem Mund schaute Hedda ihren Onkel an. Er hat recht, dachte sie. Wie soll er zur Normalität zurückfinden, wenn wir ihn alle so behandeln? »Darüber habe ich noch gar nicht …«
»Da, du tust es schon wieder! Sag einfach, was du denkst, ohne lange darüber nachzudenken. Das liegt dir ohnehin viel besser«, unterbrach Willm sie erneut.
»Das sagst du so einfach. Durch mein lockeres Mundwerk habe ich schon so manchen vor den Kopf gestoßen.«
»Und genau das brauche ich jetzt. Verstehst du, ich will mein dickes Fell zurückhaben!« Er klatschte sich mit den Händen auf seinen ungewohnt flachen Bauch und lachte.
Hedda dachte nach, bevor sie ihm antwortete. Doch dieses Mal dachte sie nicht darüber nach, was sie ihm nicht sagen durfte, sondern sie überlegte, welche Worte er sich jetzt von ihr wünschen würde. »Wenn du wirklich dein dickes Fell zurückhaben möchtest, dann solltest du im Kino unbedingt die extragroße Portion Nachos mit Käse essen«, sagte sie schließlich. Der Gedanke daran, wie ihr Onkel im Kino saß und sich die leckeren Tortilla-Chips reinzog, zauberte ein zufriedenes Lächeln auf ihr Gesicht.
»Schon besser«, sagte Willm, ging zur Haustür, streifte sich eine Jacke über und zog sich die Schuhe an. »Der Film hat Überlänge, ihr müsst also nicht allzu früh mit mir rechnen.« Er zwinkerte Hedda vielsagend zu. Dann öffnete er die Tür und ging hinaus.
»Viel Spaß!«, rief Hedda ihm hinterher und beobachtete, wie er zu seinem Auto ging.
»Danke!«, rief Willm zurück und winkte ihr. Dann öffnete er die Fahrzeugtür und setzte einen Fuß in den Innenraum des Wagens. »Und übrigens, du hattest recht!«, rief er Hedda noch zu, kurz bevor er sich auf den Fahrersitz fallen ließ und die Tür hinter sich zuzog.
An seinem breiten Grinsen konnte Hedda erkennen, dass Willm ihr bewusst nicht sagen wollte, womit sie recht gehabt hatte. Geht er etwa wirklich nicht allein ins Kino?
Während ihr Onkel rückwärts von der Auffahrt fuhr, sah sie im selben Moment Enno auf das Grundstück einbiegen. Er schien zu Fuß gekommen zu sein. Als Willm ihn bemerkt hatte, hielt er an und ließ die Fensterscheibe hinunter. Enno bückte sich und neigte Heddas Onkel seinen Kopf entgegen. Die beiden Männer wechselten ein paar Worte miteinander, ehe Willm schließlich davonfuhr und Enno sich der Haustür näherte.
»Bist du zu Fuß?«, fragte Hedda ungläubig.
»Moin Hedda. Ja, ich … ich war viel zu früh dran, darum dachte ich, ich könnte die Zeit mit einem kleinen Spaziergang überbrücken.« Unsicher senkte er seinen Blick zu Boden.
Wie süß, er wird ja richtig rot. Wahrscheinlich war er so aufgeregt, dass er es zu Hause einfach nicht mehr ausgehalten hat. Sie umarmte ihn zur Begrüßung, verzichtete aber nach der langen Zeit darauf, ihm einen Begrüßungskuss auf die Wange zu geben.
»Komm rein, wir haben noch viel zu tun.«
Nachdem Enno seine Schuhe und die Jacke ausgezogen hatte, folgte er Hedda in die Küche.
»Möchtest du etwas trinken?«
»Gerne ein Bier, wenn du welches dahast.«
»Musst dir wohl Mut antrinken, was?« Hedda drehte sich schnell weg, um ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Dabei war es ihr hauptsächlich unangenehm, dass ihr Mundwerk wieder einmal schneller gewesen war, als ihr Verstand.
»Danke!« Enno nahm die Bierflasche entgegen. Der Blick, den er ihr dabei mit seinen strahlend blauen Augen zuwarf, verursachte bei Hedda eine Gänsehaut. »Du siehst toll aus!«
Du aber auch, dachte Hedda und musterte Enno einmal von Kopf bis Fuß. Er hatte sich überhaupt nicht verändert. Sein kurzes blondes Haar hatte er wieder mit ein wenig Haargel zurechtgemacht. Die Ärmel seines T-Shirts spannten sich immer noch um seine muskulösen Oberarme, und auch wenn sie seine Kehrseite gerade nicht sehen konnte, war Hedda sich sicher, dass sein Hintern immer noch zum Anbeißen war.
Hedda spürte, wie ihr bei diesem Gedanken jetzt auch die Wärme ins Gesicht schoss. Sie wusste, dass ihn seine Worte sehr viel Überwindung gekostet haben mussten. »Danke, du aber auch!«, sprach sie ihren Gedanken diesmal laut aus. »Auf einen schönen Abend«, sagte sie, streckte ihm ihre Bierflasche entgegen und nahm anschließend einen kräftigen Schluck.
Während sie gemeinsam die Kartoffeln schälten, erzählte Hedda ihm von Gerda Janssen und von Gesas Bitte, sie nach Langeoog zu begleiten. Mit jedem Satz wurde Heddas Stimmung bedrückter und die Sorge um ihren Onkel wieder größer. Auch wenn Willm vorhin etwas ganz anderes zu ihr gesagt hatte, mochte sie ihn dennoch nicht so lange alleine lassen. Aber auch ihrer guten Freundin wollte sie in dieser schwierigen Zeit unbedingt beistehen.
»Ich weiß einfach nicht, wie ich mich entscheiden soll.«
Enno schaute sie nachdenklich an. »Wenn du willst, kann ich doch ab und zu nach Willm sehen. Und meinen Vater werde ich sicherlich auch zu einem spontanen Besuch bei seinem Freund überreden können.«
»Das würdest du für mich machen?« Hedda wischte sich den Pony aus der Stirn und lächelte Enno glücklich an. Sie würde sich wirklich deutlich besser fühlen, wenn sie wüsste, dass jemand während ihrer Abwesenheit nach ihrem Onkel schauen würde.
»Na klar!« Enno nickte. »Vielleicht tut es euch beiden sogar ganz gut, wenn ihr euch mal ein paar Tage nicht seht.«
»Wie meinst du denn das jetzt?«
»Nun ja, euch beiden verbindet die Erinnerung an ein schreckliches Ereignis. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass dein Onkel sich vielleicht auch Sorgen um dich machen könnte?«
»Um mich?«, fragte Hedda ungläubig.
»Aber sicher doch. Wenn er nicht gewesen wäre, wären dir all diese Grausamkeiten nicht geschehen.«
»Aber das ist doch nicht seine Schuld!«, protestierte Hedda.
»Natürlich nicht!«, sagte Enno. »Aber versetz du dich doch mal in seine Lage. Würdest du dir nicht auch Vorwürfe machen. Immerhin war es seine Frau, die auf dich geschossen hat.«
Durch die Erinnerung an den Schuss begann die Narbe an Heddas Schulter sofort wieder zu jucken. In Gedanken versunken kratzte sie sich über die Stelle, an der die Kugel sie getroffen hatte. »Du meinst, mein Anblick erinnert ihn an seine Schuld?« Sie malte mit ihren Händen zwei Gänsefüßchen in die Luft, um durch diese Geste zu unterstreichen, dass sie Willm keinesfalls irgendeine Schuld an den Vorkommnissen gab.
Enno nickte. »Möglich wäre es. Zumindest wird er sich die Schuld dafür geben, dass du seit Monaten dein ganzes Leben nur noch danach ausrichtest, dich um ihn zu kümmern.«
Nachdenklich kaute Hedda auf ihrer Unterlippe herum. Damit könnte er tatsächlich recht haben, dachte sie und fragte sich gleichzeitig, ob sie in den letzten Monaten alles falsch gemacht hatte.
»Du solltest fahren!«, sagte Enno entschlossen. »Ich habe den Eindruck, dass dein Onkel sein Leben wirklich wieder in den Griff bekommen will. Ansonsten wäre er doch heute Abend nicht …« Er stockte mitten im Satz. »… ins Kino gegangen.«
Der veränderte Tonfall in der zweiten Hälfte seines Satzes war Hedda nicht entgangen. »Was hat Willm eigentlich zu dir gesagt, bevor er losgefahren ist?«, fragte sie Enno und beobachtete dabei genau seine Reaktion.
»Er hat mir nur gesagt, dass er ins Kino fährt und dass er uns einen schönen Abend wünscht.«
»Ach so«, antwortete Hedda. Wenn du glaubst, dass du Geheimnisse vor mir haben kannst, dann hast du dich aber gewaltig geirrt. Ich bekomme schon noch heraus, was er wirklich zu dir gesagt hat. »Würdest du den Grünkohl zusammen mit den Zwiebelwürfeln und den Speckscheiben anbraten?« Sie zeigte auf die Pfanne und die Zutaten, die direkt daneben lagen.
»Na klar!« Enno stand auf und ging zum Herd hinüber. Er schien sichtlich erfreut, über den spontanen Themenwechsel.
Während Enno damit begann, die Zutaten in den Topf zu geben, betrachtete Hedda ihn von hinten. Mein lieber Herr Frerichs, ich hatte ja fast vergessen, was für einen knackigen Hintern Sie haben. Aber auch der wird Sie nicht davor bewahren, dass ich Ihnen noch heute die Wahrheit entlocken werde. Mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht stand sie auf, um sich um die Kartoffeln und die Würste zu kümmern.
I
Das Ultimatum
Zufrieden nahm er sich ein Croissant aus dem Brotkorb, versenkte sein Messer in dem Marmeladenglas und bestrich die französische Köstlichkeit mit einer dicken Schicht Erdbeerkonfitüre. Dann biss er hinein, schloss die Augen und genoss den süßlichen Geschmack auf seiner Zunge.
Zu dieser frühen Uhrzeit herrschte eine wundervolle Ruhe in der geräumigen Stadtvilla. Seine Frau lag noch im Bett und schlief, und wenn er Glück hatte, würde er das Anwesen noch vor ihrem Aufstehen verlassen können. Sie war schon immer eine Langschläferin gewesen, aber mit den Jahren ihrer Ehe hatte diese Gewohnheit sich zum Glück immer stärker ausgeprägt. Als Gründerin und einzige Eigentümerin der Firma konnte sie sich den Luxus erlauben, immer als Letzte im Büro zu erscheinen.
Seine Frau hatte das Unternehmen mit strenger Hand aufgebaut und nach und nach zum Marktführer in der Region entwickelt. Ihr beruflicher Erfolg hatte sie aber nicht nur bei der Konkurrenz unbeliebt gemacht. Auch bei ihren Mitarbeitern war sie, aufgrund ihres herrischen Führungsstils, mehr als unbeliebt. Auch er war ursprünglich einer dieser Mitarbeiter gewesen, der seine Chefin am liebsten jeden Morgen mit dem Auto überfahren hätte. Aber irgendwann hatte er erkannt, welche Vorteile eine Liaison mit der deutlich älteren Frau für ihn haben könnte. Denn durch seine Ehe war er nicht nur in die Geschäftsführung des Unternehmens aufgestiegen, sondern konnte sich privat auch endlich die Dinge erlauben, die ihm seiner Meinung nach schon immer zugestanden hatten.
Aber seine Frau war nicht dumm. Sie hatte sich nicht mit der rosaroten Brille in ihre Ehe gestürzt, sondern durch einen ausgeklügelten Ehevertrag dafür gesorgt, dass er die Privilegien, die ihr Reichtum ihm bot, nur so lange würde genießen können, wie er ihr ein guter und vor allem treuer Ehemann war.
Aus dem Schlafzimmer hörte er leise Geräusche. Schnell schob er sich das letzte Stück Croissant in den Mund und spülte es mit einem Schluck Kaffee hinunter. Dann sprang er von seinem Stuhl auf, schnappte sich seine Arbeitstasche und eilte zur Tür hinaus. Er verzichtete lieber auf das Zähneputzen, anstatt das Risiko in Kauf zu nehmen, dass seine Frau ihn zu einem morgendlichen Schäferstündchen ins Ehebett zurückbeordern könnte.
Er saß bereits hinter dem Steuer seines neuen Wagens, den seine Frau ihm erst vor einigen Wochen überlassen hatte. Das Fahrzeug hatte sie selbstverständlich auf ihren eigenen Namen angemeldet, es ihm aber bis auf Weiteres zur freien Nutzung überlassen. Der Motor heulte auf, nachdem er den Start-Knopf gedrückt und das Gaspedal leicht heruntergepresst hatte.
»FRED!« Die Stimme seiner Frau übertönte sogar das Röhren des Motors. Wenn er jetzt so tun würde, als habe er sie nicht gehört, könnte er sich in der Firma auf eine peinliche Szene einstellen.
Frustriert stieg er aus dem Wagen aus und ging auf seine Frau zu. Dabei hatte er es doch fast geschafft.
»Was ist denn, meine Prinzessin?« Der Kosename, den seine Frau sich selbst ausgesucht hatte, kam ihm nur schwer über die Lippen. Sie war allenfalls eine abgewrackte Königin, viel eher aber noch ein altes Schlachtschiff.
»Komm doch bitte noch mal kurz rein!« Mit ihrem Zeigefinger machte sie eine lockende Bewegung und zwinkerte ihm zeitgleich verführerisch zu.
Ihm war klar, was das zu bedeuten hatte. Wenn ihm nicht schnell eine Ausrede einfallen würde, müsste er in wenigen Minuten nackt auf ihr liegen. »Prinzessin, ich würde ja wirklich gerne …«, druckste er herum, »… aber ich muss jetzt wirklich ganz schnell ins Büro.«
Ihre Lippen formten ein unanständiges Grinsen. »Ich bin deine Chefin, schon vergessen?«, sagte sie, drehte sich um und ging ins Haus zurück. Als sie gerade hinter der Türschwelle verschwunden war, ließ sie ihren Bademantel zu Boden sinken, drehte ihren Kopf über die Schulter und zwinkerte ihm lasziv zu.
Der Anblick ihres nackten faltigen Hinterteils löste bei ihm einen Würgreflex aus. Mit gesenktem Kopf schlich er zurück ins Haus und folgte ihr in das eheliche Schlafzimmer.
***
Eine Viertelstunde später lagen sie beide nackt und verschwitzt auf dem Bett, hatten jeder eine Zigarette in der Hand und starrten, jeweils in ihre Gedanken versunken, vor sich hin.
»Fred, ich glaube, du musst jetzt ins Büro«, sagte sie, nahm einen tiefen Zug an ihrer Zigarette und ließ den Rauch aus ihren gespitzten Lippen wieder geräuschvoll entweichen.
Er hasste es, wenn sie ihn so nannte. Seinen Spitznamen aus Grundschultagen hatte er einer leichten Ähnlichkeit mit dem Familienoberhaupt der Steinzeitfamilie Feuerstein zu verdanken. In einem unbedachten Moment hatte er ihr leider davon erzählt und bekam ihn seither öfter zu hören, als seinen eigentlichen Vornamen.
Schweigend schwang er sich aus dem Bett, las seine Unterwäsche und seinen Anzug vom Fußboden auf, um damit ins Badezimmer zu verschwinden. Er hatte den Raum bereits verlassen, als seine Frau ihn noch einmal zurückbeorderte.
»Da ist noch etwas, was ich dir sagen muss«, sagte sie, als er wieder vor dem Bettende stand.
Verängstigt schaute er sie an. Meistens, wenn sie diesen Tonfall benutzte, bedeutete das für ihn nichts Gutes.
»Ich habe gestern bei der Bank deine Kontovollmacht streichen lassen«, sagte sie ihm derart beiläufig, als habe sie ihm gerade den aktuellen Wetterbericht mitgeteilt.
Erschrocken schaute er seine Frau an. »Wieso?«, fragte er fassungslos. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
Sie lachte. »Du kennst mich doch, ich habe halt gerne die Kontrolle über alles. Außerdem sind mir da in den letzten Monaten ein paar unangemessene Ausgaben aufgefallen. Wenn du Geld brauchst, sagst du mir zukünftig einfach wofür, und ich überweise es dir dann.«
Er nickte verlegen. »Danke, Prinzessin.« Am liebsten hätte er ihr die Worte vor die Füße gespuckt, wäre auf sie gesprungen und hätte seine Daumen so lange gegen ihren Kehlkopf gepresst, bis sämtliches Leben aus ihr gewichen wäre. Stattdessen quälte er sich zu einem möglichst natürlich wirkenden Lächeln.
»Jetzt aber los, du bist schon viel zu spät dran!«
Als ob das meine Schuld ist, dachte er, ging auf sie zu, gab ihr einen Kuss und verabschiedete sich mit einem seiner einstudierten Liebesbekenntnisse.
Auf dem Weg zum Auto liefen seine Gedanken Amok. Verdammte Scheiße, wenn ich nicht schnell wieder Zugriff auf das Konto bekomme, fliegt in wenigen Wochen alles auf! Dann ist alles umsonst gewesen! Im Bruchteil einer Sekunde reihten sich die Erinnerungen an sämtliche Liebesakte mit seiner Frau in seinem Kopf zu einem abstoßenden Pornofilm zusammen. Ich muss unbedingt etwas unternehmen, bevor es zu spät ist!
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