»Das ist aber eine süße Kirche«, sagte Hedda, während sie sich dem Gotteshaus näherten.
»Es ist die einzige Kirche an der Küste, die auf einem Deich errichtet wurde. Der Glockenturm wurde erst später erbaut und ist wegen des häufigen Sturms extra niedrig gehalten worden.« Mit einem stolzen Grinsen schaute Enno seine Frau an.
Beeindruckt schob diese die Unterlippe vor. »Woher weißt du das denn alles?«
»So etwas lernt man halt, wenn man in Ostfriesland zur Schule geht.«
Hedda schaute Enno fragend an. Sie war erst im Alter von fünfzehn Jahren vom ostfriesischen Emden nach Bremen gezogen und konnte sich daher nicht vorstellen, dass sie ausgerechnet diesen Part des regionalen Geschichtsunterrichtes verpasst haben sollte.
Beim Anblick ihres skeptischen Gesichtsausdrucks musste Enno nun doch lachen. »Als ich am Parkautomaten stand, war da ein älterer Mann, der einer kleinen Gruppe von Touristen etwas über die ›Deichkirche‹ erzählt hat.«
»Habe ich es mir doch gedacht.« Hedda schüttelte grinsend den Kopf. »Wie immer hast du nur so getan, als wärest du schlau.«
»Sie bogen in die Pumphusen-Straße ein. Kurz bevor sie die Harle erreichten, kamen sie am ›Puppen-Café‹ vorbei. Hedda blieb kurz stehen, um sich die Fotos anzusehen, die in einer kleinen Werbetafel am Straßenrand aushingen. Neben historischen Puppen bekam man im Inneren des Cafés auch eine traditionelle ostfriesische Teezeit und ansehnlich zubereitete Backwaren geboten. »Da müssen wir bei Gelegenheit unbedingt mal rein!«
Nachdem Hedda, Enno und Rocky den ›Tüdelpott‹, eine gemütliche ostfriesische Teestube, die direkt an der Harle lag, passiert hatten, sahen sie bereits die große Außenreklame von Caro’s Diner. Als sie kurz darauf direkt vor dessen Eingangstür standen, stellten sie erfreut fest, dass Hunde in diesem Lokal ausdrücklich willkommen waren. Als sie die Tür öffneten, kündigte eine Glocke ihr Eintreten an.
Nachdem er bereits ein ganzes Stück gegangen war und dabei nicht ein einziges bekanntes Gesicht seinen Weg gekreuzt hatte, entspannte sich sein Nervenkostüm ein wenig. Er ging an der Harle entlang. Der kleine Fluss mündete in einigen Hundert Metern in die Nordsee, doch er folgte seinem Lauf nur, bis er die ›Historische Rettungsstation‹ erreicht hatte, die kurz hinter der ›Friedrichsschleuse‹ lag. Tagsüber konnte man sich in dem kleinen roten Backsteingebäude mit dem großen grünen Tor, über dem das Logo der ›Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger‹ prangte, eine Ausstellung zum historischen Rettungswesen an der ostfriesischen Küste anschauen. Doch jetzt, um etwa halb drei in der Nacht, war es der perfekte Platz, um auf sein Opfer zu warten.
Als sie an den ›Seeperlen‹, die am Ostufer des Binnenhafens von Harlesiel erbaut worden waren, vorbeikamen, blieben sie kurz stehen, um die freistehenden Häuser, die mit Pfählen direkt ins Wasser gebaut worden waren, zu bestaunen.
»So will ich auch mal wohnen«, schwärmte Hedda. Sie konnte sich direkt vorstellen, wie sie mit ihrem Laptop an einem der großen Fenster saß und auf den Yachthafen schaute, um ihre Gedanken schweifen zu lassen. In einem solch einzigartigen Ambiente ließen sich sicherlich super Kriminalromane schreiben.
»Warten Sie, ich will auch noch mit!«, rief Enno dem Kapitän der ›Concordia II‹ zu. Er hatte gesehen, dass Mia an Bord des kleinen weißen Raddampfers gestiegen war, der auf den ersten Blick so wirkte, als wäre er beim Waschen eingelaufen.
...
Bevor sie ihre Frage beenden konnte, wurde Mia von einer Lautsprecherdurchsage unterbrochen. Die männliche Stimme begrüßte zunächst alle Passagiere mit einem freundlichen ›Moin!‹, ehe sie einige erwähnenswerte Details über den Raddampfer folgen ließ. »Herzlich willkommen an Bord der Concordia II, dem größten Raddampfer Ostfrieslands und dem wahrscheinlich kleinsten der Welt.« Er machte eine Pause, damit alle genug Zeit hatten, um sich über seine Worte zu amüsieren. »Dieses Schiff wurde im Jahr 2000 erbaut. Die Bauzeit betrug damals sieben Monate. Die seitlichen Schaufelräder haben einen Durchmesser von drei Metern. Außerdem verfügt dieser Seitenraddampfer über einen Dieselmotor.«
Vor der Statue einer langhaarigen Frau, die ein kleines Segelschiff in ihren Händen hielt, blieben sie stehen. Die Plastik ›Caroline‹ war im Jahr 2005, zum 275. Geburtstag von Carolinensiel, aufgestellt worden. Ihren Namen hatte sie der Ehefrau des Ortsgründers Georg Albrecht von Ostfriesland zu verdanken, der Carolinensiel nach seiner Frau, Fürstin Sophie Karoline von Brandenburg-Kulmbach, benannt hatte.