Als Onno den Bahnsteig betrat, wartete die rote Schmalspurbahn mit ihren blau-weißen Waggons bereits auf die Gäste, die Richtung Hafen fahren wollten, um von dort aus mit der Fähre zurück zum Festland zu gelangen. Einige Touristen saßen bereits abfahrbereit in den Personenwagen, weshalb der Hauptkommissar zunächst den gesamten Zug abschritt und durch die Fenster lugte.


Direkt hinter dem Café Pudding, das um diese Uhrzeit schon geschlossen hatte, entdeckte sie das leuchtende Ziffernblatt der Puddinguhr. Ihre Kursleiterin Mena Bleeker hatte ihnen am Vormittag von der denkmalgeschützten Uhr mit dem Windmesser in Schiffsform erzählt, die aus verschiedenen gebrauchten Teilen erbaut worden war, weshalb sie diese als Sinnbild für eine potentielle Patchwork-Arbeit der Gruppe verwendet hatte. Annalena musste schmunzeln, als ihr Menas Worte erneut durch den Kopf gingen: Seit einer größeren Reparatur wird die Puddinguhr von der Atomuhr in Frankfurt gesteuert und geht damit maximal eine Zehntelmillisekunde nach. Das finde ich jedoch vertretbar, wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen, die von ihr die Zeit ablesen, sich gerade im Urlaub befinden. 


Nach wenigen Minuten erreichte Onno den im Jugendstil erbauten Bahnhof. Das denkmalgeschützte Gebäude aus dem Jahr 1906 war mit seinem Mix aus roten Backsteinen und weißem Putz, dem großen Turm und dem dunklen Dach ein weiteres optisches Highlight für die vielen Touristen, die Wangerooge jedes Jahr besuchten.



»Wenn du hier abbiegst, kommst du zum Westkap«, unterbrach er spontan die Spekulationen, nachdem sie nach etwa acht Minuten Fußweg einen imposanten blauen Anker passierten, der auf einem großen Stein ruhte. Dem fragenden Gesichtsausdruck seiner Partnerin konnte er entnehmen, dass sie nicht genau wusste, was er meinte. »Das Westkap ist ein Jugend- und Freizeitheim«, erklärte er daher weiter und zeigte auf das weiß verputzte Gebäude mit den dunklen Dachziegeln. An dem holzvertäfelten Giebel, direkt unter den beiden Fenstern, war der Name der Einrichtung mit grüner Schrift auf einem weißen Hintergrund zu lesen. Der Buchstabe ›T‹ war dabei wie ein Anker gestaltet. 


Die beiden Inselpolizisten hatten sich zum Mittagessen bei dem mobilen Imbisswagen der Eheleute Eckhoff verabredet. Dieser stand 45 heute am Ende der Siedlerstraße auf Höhe der DRK Villa Kunterbunt, einer Vorsorgeklinik für Familien. »Moin Aalderk«, begrüßte Onno den Inhaber, nachdem Theda und er ihre Diensträder neben dem zum Verkaufswagen umgebauten Pferdeanhänger abgestellt hatten. »Ist das denn wirklich ein guter Standort?« Er warf einen Blick zu der Klinik hinüber, in der auch viele Kinder mit Gewichtsproblemen untergebracht waren. »Ik bin ok fix was manns«, spielte er auf seine korpulente Figur an und rieb sich den Bauch. Er war der Überzeugung, dass ein paar Kilos zu viel niemandem schadeten.