»Steht hier der Schiefe Turm von Suurhusen?«

»Ganz genau!« Hedda öffnete die Beifahrertür und stieg aus dem Wagen.

Enno folgte ihr. Sie gingen direkt auf die im dreizehnten Jahrhundert erbaute Kirche zu und postierten sich so, dass sie das Gebäude gut sehen konnten.

»Wow, ist der schief!«, staunte Enno. Er hatte schon oft von dem berühmten Gotteshaus gehört, es aber noch nie in echt gesehen. »Und die steht wirklich im Guinness-Buch?«

»Ja, mit einer Neigung von etwas über 5 Grad ist der Kirchturm der Rekordhalter der nicht absichtlich schief gebauten Gebäude.«

 


Darum entschied Hedda ihrem Freund zunächst die Knock zu zeigen.

 

Nachdem sie die unzähligen Windkrafträder und die beiden historischen Statuen am Rande des Siel- und Schöpfwerkes passiert hatten, parkten sie ihr Auto auf dem vollkommen ungenutzten Parkplatz. Beim Aussteigen aus dem Fahrzeug fiel Enno sofort der futuristisch anmutende Radarturm ins Auge, der alles andere bei Weitem überragte. Als er Hedda gerade fragen wollte, wofür das Gebäude genutzt wurde, vibrierte das Handy in seiner Jackentasche. Er holte es hervor und schaute auf das Display. »Ich habe eine SMS bekommen, in der ich in einem niederländischen Mobilfunknetz begrüßt werde«, lachte Enno, nachdem er den Text der Kurznachricht überflogen hatte.

»Das kann gut sein«, sagte Hedda und zeigte mit ihrem Arm aufs Wasser hinaus. »Da drüben liegt bereits Delfzijl.«


»Solange du mich festhältst: ganz sicher!« Hedda zog ihn noch fester an sich heran. »Da drüben siehst du übrigens den Wasserturm. Er steht unter Denkmalschutz.«

 

Enno schaute über die mehrspurige Straße zu dem etwa vierzig Meter hohen Gebäude hinüber, das alle umherstehenden Bäume und Bauwerke bei Weitem überragte. Er war ein wenig überrascht. Das Nutzgebäude mit seinen vielen Säulen erinnerte ihn eher an einen Märchenturm.

 


»Da vorne ist übrigens auch der Bahnhof!« Hedda schwenkte ihren ausgestreckten Arm leicht nach links. Dann zog sie Enno weiter mit sich. Sie liefen an dem Verlagsgebäude der Emder Zeitung vorbei und gingen anschließend die Große Straße entlang, an deren Ende sich das Otto Huus befand. Aus der Fassade im ersten Stock des Gebäudes schien gerade ein überdimensionierter Ottifant durchs Mauerwerk zu brechen.

 

»Die alten Otto-Sketche kann ich mir immer wieder ansehen«, sagte Enno, während er im Schaufenster eine Best-of-DVD mit dem Konterfei des wohl berühmtesten Emder Bürgers betrachtete.

 


Sie überquerten die Fußgängerampel und stellten sich direkt neben die Statuen dreier Seeleute, die dort an einem Metallgeländer lehnten und scheinbar auf den Ratsdelft schauten. Von hier aus konnte man nicht nur das Feuerschiff und die übrigen Schiffe betrachten, die in diesem Teil des Hafens lagen, sondern hatte auch einen hervorragenden Blick auf das Emder Rathaus.


»Da drüben im Hafen liegt übrigens das Feuerschiff, das ebenfalls zu den bekanntesten Wahrzeichen der Stadt zählt.«

 

Das auffällige Schiff, dessen Name – Deutsche Bucht - in riesigen weißen Buchstaben auf den roten Schiffsrumpf geschrieben stand, fiel Enno sofort ins Auge.

 


Anschließend schlenderten sie am Wasser entlang zum Hafentor, das die Einfahrt zum mittelalterlichen Hafen markierte.

 

»Da oben siehst du übrigens unser ›Engelke up de Muer‹, das Emder Stadtwappen.« Hedda zeigte auf die Spitze des gemauerten Bauwerkes. Das Wappen zeigte einen Jungfrauenadler, der oberhalb einer Mauer thronte, unterhalb derer wiederum einige Wellen die Ems symbolisierten.

 

»Was steht denn da für ein Spruch unter dem Wappen? Et pons est Embdae et portus et aura deus«, las Enno die lateinischen Worte vor. Lesen konnte er die alte Sprache noch relativ gut, aber für eine Übersetzung waren seine rudimentären Schulkenntnisse bei Weitem nicht mehr ausreichend.

 

Hedda zückte ihr Handy und tippte etwas in ihr Smartphone ein. Es war ihr ein bisschen peinlich, aber den Spruch unterhalb des Stadtwappens hatte sie bisher noch nie bemerkt. »Das bedeutet so viel, wie: Gott ist für Emden Brücke, Hafen und Segelwind«, sagte sie, nachdem sie im Internet eine passende Übersetzung gefunden hatte.