Nachdem sie einige Fotos von dem historischen Dampfer gemacht hatten, fuhren die Gymnasiasten mit dem Auto zur Evenburg, einem weiteren Leeraner Kulturdenkmal, welches aus einem Schloss, dem dazugehörigen Park und einer Vorburg bestand. Das barocke Wasserschloss wurde bereits im Jahr 1642 von Oberst Erhard Reichsfreiherr von Ehrentreuter erbaut.
Das helle Schloss mit seinem dunklen Dach war von einem breiten Wassergraben umgeben. Seinen Namen hatte das Gebäude der Gattin des Erbauers zu verdanken, die den Vornamen Eva trug. Etwa 1690 wurde durch die damaligen Besitzer die Vorburg errichtet. Der hufeisenförmige Gebäudekomplex war bis zum heutigen Tag in Teilen erhalten geblieben. 1975 kaufte der Landkreis Leer das Schloss und führte die notwendige Sanierung des Gebäudes und der Vorburg durch.


Nach der standesamtlichen Trauung im historischen Rathaus ging die kleine Hochzeitsgesellschaft zum nahe gelegenen ›Restaurant zur Waage‹ hinüber. Das direkt am Hafen liegende Traditionshaus mit seinem ostfriesischen Charme bot neben regionaler Küche und Fischspezialitäten auch einen herrlichen Blick auf die Leda und die vor Anker liegenden Schiffe.


Dazu gehörten unter anderem das 1894 im deutsch-niederländischen Renaissancestil erbaute Rathaus, das Heimatmuseum, dessen Hauptgebäude 1791 errichtet worden war, die Waage am Hafenufer, welche 1714 erbaut worden war, die Haneburg aus dem 17. Jahrhundert sowie das Amtsgericht aus dem Jahre 1711 und zwei historische Kirchen.


Direkt vor ihr erstreckte sich ein langgezogener, breiter Schatten, der eher vom Leeraner Wasserturm als von ihr selbst zu stammen schien.


»Sorry, hat etwas länger gedauert. Ich musste meinem Vater noch kurz etwas helfen.« Leonie stellte das Tablett mit der silbernen Teekanne und den zwei Tassen, auf denen das klassische ostfriesische Rosenmotiv abgebildet war, auf den Fußboden. Neben der Kanne befand sich noch ein weißer Porzellanteller, auf dem einige Schokokekse lagen. »Trinkst du deinen Tee mit Milch und Kluntje?«
»Na, hör mal«, antwortete Hedda mit gespielter Empörung. »Auch wenn ich ein paar Jahre in Bremen leben musste, bin ich immer noch eine waschechte Ostfriesin.«
»Alles klar«, schmunzelte Leonie. »Aber bei uns gibt es selbstverständlich nur Bünting-Tee. Wenn du auf Thiele-Tee bestehst, musst du dir schon eine Nachhilfelehrerin in Emden suchen.« Sie zwinkerte Hedda zu und legte mit einer silbernen Zange jeweils einen Kluntje in die Tassen. Als sie den heißen Tee darüber goss, begann der Kandis sofort zu knistern. Zum Schluss nahm sie mit der kleinen Kelle noch einen Schuss Sahne und gab ihn dazu, sodass sich in beiden Getränken ein Sahnewölkchen bildete.


Als sie auf ihrem Rückweg zum Parkhaus am Kino und dem danebenliegenden Café vorbeikamen, blieb die junge Ermittlerin plötzlich überrascht stehen.
»Ist alles okay?«, fragte Luca verwundert.
»Ja, alles okay«, stammelte Hedda. »Ich dachte nur, ich hätte da gerade jemanden gesehen. War aber falscher Alarm.«


Dann lenkte sie das Auto auf den Parkplatz des EmsParks und stellte den Motor ab. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie ihr Onkel sie vor zwei Jahren vom Leeraner Bahnhof abgeholt hatte und sie auf der Fahrt nach Neermoor erstaunt feststellen musste, dass das Einkaufszentrum zu großen Teilen abgerissen worden war. Jetzt erstrahlte alles im neuen Glanz, und die Geschäfte waren auch zur späten Abendstunde noch gut besucht.